A map is not the territory

„A Map is not the territory…”

„Das Besondere am ersten Mondflug war nicht so sehr, den Trabanten zum ersten Mal zu betreten, sondern die Sicht auf die Erde – sagt Bettina Schünemann.

Für die Reihe, die Bettina Schünemann in Salder präsentiert, nimmt sie Landkarten und legt Schichten aus Folie, weiteren Karten, Farbe und/oder anderen Materialien darüber und steuert so ihren, bzw. den Blick des Betrachters auf ihre künstlerische Sicht auf die Welt. So schaut man als Betrachter von oben auf Kontinente, Länder, Meere, Seen oder Landschaften. Die Mal- und Farbschichten, die sie über die Karten legt, sind häufig große farbige Kreise, die an Zielscheiben erinnern und unseren Blick auf ein bestimmtes Gebiet fokussieren. „Die Arbeiten bewegen sich im Spannungsfeld zwischen der Erfassung der Welt von oben, dem ,Google-maps-Wissen‘, und unsere durch menschliche Augenhöhe bestimmte Wahrnehmung der Welt, unsere empirisches Wissen“, so Bettina Schünemann. In den Collagen auf Leinwand, bestehend aus Kartenmaterial, Malerei und Folien wird dies in Beziehung zu der traditionellen Kartierung gesetzt. Sie zeigt uns in ihren Werken fremde Städte, Orte und Gebiete, sie benennt ihre Arbeiten nach denselben. Auf ihren Bildern, ihren Karten, hebt sie die Besonderheiten des Ortes oder der Gegend mit malerischen Mitteln hervor, so z.B. bei Anney, einer kleinen Siedlung rund um eine Burg im Nordosten des Landes Niger im Kaouar-Tal der Wüste Ténéré. Das Gebirge ist im Mittelpunkt der Kreise betont. Die Farben sind düster, stellen den Bezug zu der Abwehr oder Verteidigungshaltung der Feste dar, einem düsteren Gemäuer, das allem trotzt.

„A Map is not the territory…”, das vielleicht bekannteste Zitat aus dem Hauptwerk Science and Sanity von Alfred Skarbek Korzybski (*1879 Warschau – +1950 Lakeville, Connecticut), einem polnisch-amerikanischen Ingenieur und Autor, lautet vollständig und in der Übersetzung: „ Die Landkarte ist nicht die Landschaft, aber wenn die Landkarte der Struktur der Landschaft ähnlich ist, ist sie brauchbar“. Dies zielt darauf ab, dass der Mensch in zwei Welten lebt: in der Welt der Sprache und der Symbole und in der realen Welt der Erfahrung. Korzybski legt dar, dass die Welt der Sprache und der Bilder oder Symbole eine Abstraktion der Welt der Erfahrung ist und daher die Abstraktion (die Landkarte) niemals mit der Erfahrung (der Landschaft) identisch sein kann. Bettina Schünemanns Schwerpunkt in ihrer Arbeit ist folgerichtig nach Korzybski „ihre Sicht auf die Welt“. Das Gedankenkonstrukt, dass das Weltbild – die Vorstellung der erfahrbaren Wirklichkeit als Ganzes, welches mehr als die Summe seiner Teile ist – setzt sie malerisch und gestalterisch um. Sie entwirft und konstruiert ihre eigenen Karten, überarbeitet datierte Ereignisse, löst Dinge und Orte aus ihrem Umfeld, bzw. aus der „Genauigkeit“ einer Karte heraus, verändert deren Bedeutung durch Übermalungen und Collagieren. Durch Auslöschung von Orten und gleichzeitiger Betonung anderer werden ihre Landkarten zu Unikaten. Schünemann schafft Bilder, die in irgendeiner Form die Welt abbilden, so genannte Weltbilder. Diese haben eine lange Tradition in der Kunstgeschichte. Weltbilder sind Erklärungsbilder für ein Ganzes, für die menschliche Vorstellung vom Kosmos und seinen Kräften, sie spiegeln unsere Existenz wider. Weltbilder können kosmologisch, religiös oder mythologisch bestimmt sein. Bettina Schünemann erstellt in ihren Arbeiten neue Beziehungen, löst dabei Grenzen auf und schafft Neues – sie erfasst die Einzigartigkeit der Welt malerisch.

Stephanie Borrmann, Katalogtext zur Ausstellung PRÄSENZ, Städtische Kunstsammlungen Salzgitter 2017